Was teilen uns Kinder mit ihren Bildern mit?

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Es ist wissenschaftlich nicht geklärt, ob es Ursymbole gibt, die quasi jedem Menschen kulturunabhängig mit in die Wiege gelegt werden. Wir neigen zu der Auffassung, dass Symbole im Laufe der Sozialisation kulturspezifisch gelernt werden. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verantwortlich, unser erwachsenes, überwiegend kulturspezifisches Symbolverständnis bereits Kindern unbesehen zuzusprechen oder zu vermuten, dass das Kind ein entsprechendes Symbol „unbewusst“ eingesetzt habe, um damit etwas „Verbotenes“ mitzuteilen.

 

Wenn wir gewisse Rahmenbedingungen nicht kennen, sollten wir sehr vorsichtig mit Deutungen sein. Hierzu gehören unbedingt der Entstehungskontext einer Zeichnung, der soziale Entwicklungskontext des Kindes und kulturelle Einflüsse. Aber auch die Verfügbarkeit von Zeichenmaterialien spielt eine Rolle oder bei den Motiven jahreszeitliche Einflüsse.  

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Wird die Mutter viel größer als der Vater gemalt, so muss das nicht auf die größere Bedeutung oder Dominanz der Mutter in der Familie hinweisen, sondern kann auch schlicht der Zeichensituation, dem noch verfügbaren Platz für den Vater oder schlicht den begrenzten zeichnerischen Fähigkeiten geschuldet sein.

 

 

Prof. Dr. phil. Elfriede Billmann-Mahecha, Die Kindperspektive: Was teilen uns Kinder mit ihren Bildern mit? , 2014, veröffentlicht in „Kinder zeichnen ihre Welt“, Verlag das Netz

 

Über Kinderzeichnungen im Kulturvergleich

Warum aber zeichnen sich Kinder aus verschiedenen Kulturen im Durchschnitt unterschiedlich groß?

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In westlichen Mittelschichtfamilien, in denen Familienmitglieder sich selbst und andere eher als unabhängige Individuen betrachten und weniger verbunden mit ihrer Familie, braucht jeder Familienmitglied ein großes Ausmaß an persönlichem Raum und die Möglichkeit, seiner Individualität Ausdruck zu verleihen.

Dagegen betrachten sich Familien in ländlichen, bäuerlichen Gegenden stärker als soziale Einheit ……… Individualität, eigene Interessen und Vorlieben werden in diesem kulturellen Kontext stärker zurückgestellt. Das bedeutet, relativ große Selbstdarstellungen sind vor allem dort zu finden, wo das Individuum besonders wertgeschätzt wird; vergleichsweise kleinere Selbst-Darstellungen finden sich dort, wo die Gemeinschaft im Vordergrund steht.

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Bei der Deutung von Kinderzeichnungen wird auch heute oftmals nicht berücksichtigt, dass Kinder, die in unterschiedlichen Kulturen aufwachsen, sich in ihrem Selbst-Erleben und in der Beziehung zu anderen unterscheiden – und vor allen Dingen, dass diese Unterschiede sich in den kindlichen Zeichnungen widerspiegeln. Ob sich Kinder beispielsweise eher groß oder klein zeichnen, ob sie eher Kopf- oder Körperdetails betonen oder ob sie ihre Figuren lachend oder neutral darstellen, hängt zum großen Teil davon ab, in welchem kulturellen Kontext sie auswachsen.

 

Dr. Ariane Gernhardt, Kinderzeichnungen im Kulturvergleich, 2014, veröffentlicht in „Kinder zeichnen ihre Welt“, Verlag das Netz